„Die Ära der freiwilligen Emissionsziele ist vorbei“

Interview

Menschenrechtsexpertin Lotte Leicht erklärt, wie das Gutachten des Internationalen Gerichtshofs die Klimadebatte neu definiert: Staaten sind gesetzlich verpflichtet, Klimaschäden zu verhindern. Bei der COP30 können Staaten Klimaschutzmaßnahmen nicht länger als optional betrachten.

Lesedauer: 12 Minuten
A group of people hold protest signs and a large banner in front of the International Court of Justice in The Hague, banner reads: "COURTS HAVE SPOKEN – GOVERNMENTS MUST ACT NOW"
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„Die Umsetzung hängt vom politischen Willen, vom öffentlichen Druck, von Klimaschutzmaßnahmen und ja, auch von Gerichtsverfahren ab.“ Klimademonstration vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag am 23. Juli 2025

Was hat der Internationale Gerichtshof in seinem Gutachten in den wichtigsten Punkten entschieden? Warum ist es bahnbrechend?

Am 23. Juli 2025 hat der Internationale Gerichtshof (IGH) einen Moment seltener rechtlicher Klarheit und moralischer Kraft geschaffen. Die in trockener Rechtssprache verfasste Stellungnahme ist unglaublich beeindruckend, klar und kompromisslos. Der Gerichtshof hat uns einen Fahrplan für Klimagerechtigkeit vorgegeben und damit das Ende der rechtlichen Straffreiheit für große Treibhausgasverursacher signalisiert.

Der Gerichtshof stellte fest, dass die 1,5-Grad-Grenze des Pariser Abkommens rechtsverbindlich ist – und kein Wunschziel – und dass alle Staaten, insbesondere die größten Emittenten, ambitionierte Klimaschutzmaßnahmen auf der Grundlage der besten verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse ergreifen müssen. Er wies die Fiktion zurück, dass Klimaschutzmaßnahmen ein abgeschotteter Bereich unverbindlicher Versprechen seien. Stattdessen bekräftigte er, dass die Verpflichtungen zur Eindämmung des Klimawandels und zur Anpassung an dessen Folgen nicht nur aus Klimaabkommen und -verträgen hervorgehen, sondern auch aus dem Völkergewohnheitsrecht, den Menschenrechten, dem Seerecht und einer Vielzahl anderer internationaler Verträge und allgemeiner Grundsätze des internationalen Rechts.

Staaten haben eine rechtliche Verpflichtung, grenzüberschreitende Klimaschäden zu verhindern.

Und die Stellungnahme ging noch weiter: Der IGH stellte fest, dass Staaten eine rechtliche Verpflichtung haben, grenzüberschreitende Klimaschäden zu verhindern. Sie müssen mit Vorsicht und Sorgfalt handeln. Untätigkeit ist nicht neutral – sie kann rechtliche Verantwortung nach sich ziehen. Und Staaten können nicht nur für das, was sie direkt tun, zur Rechenschaft gezogen werden, sondern auch für das, was sie nicht regulieren – wie beispielsweise Emissionen von Unternehmen. Der IGH wies die Staaten ausdrücklich darauf hin, dass sie für die Nichtbekämpfung des Verbrauchs fossiler Brennstoffe, die Erteilung von Lizenzen für die Exploration fossiler Brennstoffe oder die Gewährung von Subventionen für fossile Brennstoffe haftbar gemacht werden können.

Der Gerichtshof hat eine seit langem von großen Treibhausgasemittenten vorgebrachte Verteidigung zurückgewiesen, wonach der Klimawandel zu komplex, zu kollektiv und zu global sei, als dass ein einzelnes Land dafür verantwortlich gemacht werden könne. Der IGH hat dem nicht zugestimmt. Die Komplexität des Klimas hebt die Rechtsklarheit und die individuelle Verantwortung der Staaten nicht auf. Der Anteil eines Staates am Schaden kann wissenschaftlich ermittelt werden und kein Staat kann sich hinter den Emissionen anderer verstecken. Mit anderen Worten: Sich hinter den Treibhausgasemissionen anderer zu verstecken, schützt keinen Staat vor seiner individuellen Verantwortung und Rechenschaftspflicht.

Zusammenfassend lassen sich einige der wichtigsten Erkenntnisse dieser historischen Entscheidung festhalten:

  • Die 1,5-Grad-Grenze ist rechtsverbindlich und muss das gesamte Handeln der Staaten leiten, einschließlich der nationalen Klimaschutzpläne (NDCs), der Genehmigungverfahren, Subventionen und Regulierung.
  • Staaten sind nach dem Völkergewohnheitsrecht verpflichtet, vorhersehbare Klimaschäden zu verhindern. Treibhausgasemissionen sind Massenverschmutzungen, die keine Grenzen kennen und Staaten sind für grenzüberschreitende Schäden verantwortlich.
  • Subventionen für fossile Brennstoffe, Explorationslizenzen und die Fortsetzung der Produktion können gegen internationales Recht verstoßen.
  • Klimaverpflichtungen bestehen gegenüber allen (erga omnes) – also gegenüber der gesamten internationalen Gemeinschaft.
  • Die Zurechnung von Schäden an einzelne Staaten ist rechtlich möglich, auch bei kollektiven Emissionen.
  • Staaten sind verpflichtet, private Akteure, deren Emissionen Schäden verursachen, zu regulieren – einschließlich fossiler Brennstoffunternehmen.
  • Die Verletzung von Verpflichtungen löst eine Rechenschaftspflicht aus, die unter anderem die Einstellung der Handlungen, Garantien der Nichtwiederholung und Wiedergutmachung umfasst.
  • Der Grundsatz der Nichtzurückweisung gilt für Menschen, die durch Klimafolgen über Grenzen hinweg vertrieben werden. Staaten dürfen klimabedingt vertriebene Menschen nicht in Länder zurückweisen, in denen ihr Leben ernsthaft gefährdet wäre.
  • Inselstaaten verlieren ihre Staatlichkeit oder ihre maritimen Rechte nicht, wenn ihr Territorium überflutet wird.

Große Treibhausgasverursacher können zur Verantwortung gezogen werden.

Ja, dieses Gutachten ist ein Wendepunkt. Es bestätigt, was die betroffenen Gemeinschaften seit Jahren wissen: Klimagerechtigkeit ist nicht nur ein politisches Versagen. Es ist ein Rechtsverstoß. Und mit dem Gesetz auf ihrer Seite wehren sie sich und große Treibhausgasverursacher können zur Verantwortung gezogen werden.

Was war der Fall, der vor Gericht gebracht wurde, und wer hat ihn gerade zu diesem Zeitpunkt eingereicht?

Es begann nicht in einem Ministerium oder auf einem internationalen Gipfel, sondern in einem Klassenzimmer mit Schüler*innen von Pazifikinseln, die es wagten, groß zu denken und die beschlossen, eine Kampagne zu starten, um die größte globale Menschenrechtskrise unserer Zeit, die Klimakrise, mit rechtlichen Mitteln zu bekämpfen. Ihr Slogan sagte alles: „Wir bringen das größte Problem der Welt vor das wichtigste Gericht der Welt.“

Für sie war die Klimakrise nicht abstrakt. Sie lebten sie – steigende Meeresspiegel, heftigere Stürme, zerstörte Häuser, Bedrohung ihres Lebens und ihrer Existenzgrundlage. Und sie sahen mit erschreckender Klarheit, dass das Völkerrecht sie nicht schützte. Also starteten sie eine Kampagne, die eine globale Jugendbewegung auslöste, die Unterstützung von Vanuatu und anderen klimagefährdeten und freundlichen Staaten gewann und schließlich 2023 eine historische einstimmige Resolution der UN-Generalversammlung erreichte, in der der IGH aufgefordert wurde, zwei zentrale Fragen zu klären: 

  1. Welche Verpflichtungen haben Staaten nach internationalem Recht, um den Schutz des Klimasystems und der Umwelt für heutige und künftige Generationen zu gewährleisten? und
  2. Welche rechtlichen Konsequenzen hat es nach Internationalem Recht für Staaten, die erhebliche Klimaschäden verursacht und diese Verpflichtungen verletzt haben? 

Dies sind Fragen, die den Kern der Klimagerechtigkeit und in der Tat der Klimaungerechtigkeit treffen: Wer ist verantwortlich? Für welches Verhalten? Und was ist denen geschuldet, die unter den Folgen leiden, aber am wenigsten zur Entstehung dieser Klimakrise beigetragen haben?

Die Studierenden, die kleinen Inselstaaten und andere klimagefährdete Staaten haben die gelebte Realität der Klimakrise in die Hallen der UNO und schließlich vor die Richter in Den Haag gebracht. Sie haben das Schweigen des Rechts mit der Dringlichkeit der Gerechtigkeit konfrontiert. Und am 23. Juli 2025 antwortete der IGH mit einem Urteil, das nicht nur die Schwere der Klimakrise widerspiegelte, sondern auch die Führungsstärke und Weitsicht derjenigen, die dieses wegweisende Gutachten ermöglicht haben.

Was bedeutet dieses Urteil für den Zusammenhang zwischen Menschenrechten und staatlichen Verpflichtungen im Hinblick auf den Klimawandel?

Der IGH hätte nicht klarer sein können: Die Klimakrise ist auch eine Menschenrechtskrise.

Der Gerichtshof bekräftigte, dass der Klimawandel die Wahrnehmung der durch das Völkerrecht geschützten Rechte untergräbt – darunter das Recht auf Leben, Gesundheit, Nahrung, Wasser, Wohnen, Familie und Selbstbestimmung. Er erkannte das Recht auf eine saubere, gesunde und nachhaltige Umwelt als grundlegend und durchsetzbar an, das in Menschenrechtsverträgen und im Völkergewohnheitsrecht verankert ist.

Außerdem erkannte der IGH an, dass diese Rechte nicht nur für die heute lebenden Menschen gelten, sondern auch für künftige Generationen. Klimaschutzverpflichtungen sind generationsübergreifend. Staaten müssen nicht nur handeln, um die Menschen heute zu schützen, sondern auch um die Rechte derjenigen zu wahren, die noch nicht geboren sind.

Mit anderen Worten: Untätigkeit im Klimabereich ist nicht nur Fahrlässigkeit, sondern eine schwerwiegende Verletzung der Menschenrechte.

Was hat das Gutachten zu den Klimaschutzverpflichtungen entschieden?

Der Gerichtshof bestätigte, dass Staaten eine rechtliche Verpflichtung haben, ihre Emissionen im Einklang mit dem 1,5-Grad-Ziel unter Anwendung der besten verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse zu reduzieren. Diese Verpflichtung ist nicht auf Klimaverträge beschränkt. Sie wird durch internationales Gewohnheitsrecht bekräftigt, das für alle Staaten verbindlich ist – also auch für die Vereinigten Staaten, die aus dem Pariser Abkommen ausgestiegen sind.

Klimaverträge ersetzen nicht allgemeines internationales Recht, sondern sind Teil davon.

Der IGH hat sich direkt mit dem Argument auseinandergesetzt, dass die Klimaverträge ein in sich geschlossenes Rechtssystem (eine sogenannte lex specialis) darstellen, das andere Vorschriften ausschließt. Er hat dies zurückgewiesen. Klimaverträge ersetzen nicht allgemeines internationales Recht, sondern sind Teil davon. Die Verpflichtungen zur Schadensverhütung, zur Vorsorge und zur Sorgfaltspflicht gelten weiterhin uneingeschränkt für den Klimawandel und die Treibhausgasemissionen. 

Und wie ich bereits sagte, hat der Gerichtshof noch deutlicher gemacht, dass Staaten rechtlich haftbar gemacht werden können, wenn sie die Treibhausgasemissionen aus dem Hauptverursacher der Klimakrise, den fossilen Brennstoffen, nicht regulieren.   

Die Botschaft ist klar: Die Ära der freiwilligen Emissionsziele und der unkontrollierten Ausweitung fossiler Brennstoffe ist vorbei. Die deutsche Regierung sollte dies zur Kenntnis nehmen!

Was bedeutet dieses Urteil für künftige Rechtsstreitigkeiten, insbesondere im Hinblick auf Haftung und Klimareparationen?

Der IGH hat ein neues Kapitel in der Klimapolitik aufgeschlagen. Wo ein Rechtsanspruch besteht, gibt es auch Abhilfe!  

Der Gerichtshof bestätigte, dass eine rechtliche Verantwortung entsteht, wenn Staaten ihren Verpflichtungen – durch Handeln oder Unterlassen – nicht nachkommen und dass die Zurechnung grenzüberschreitender Schäden an einzelne Staaten rechtlich möglich ist. Wissenschaftliche Nachweise, einschließlich Daten zu kumulativen Emissionen, können einen hinreichend direkten Kausalzusammenhang begründen.

Wird eine Verantwortung festgestellt, sind folgende rechtliche Konsequenzen zu erwarten:

  • Einstellung des rechtswidrigen Verhaltens – dies könnte den Entzug von Lizenzen oder Subventionen bedeuten.
  • Garantien der Nichtwiederholung – Forderung nach künftigen Schutzmaßnahmen.
  • Volle Wiedergutmachung, einschließlich Restitution (z. B. Wiederherstellung von Ökosystemen), Entschädigung für finanzielle Schäden und Genugtuung (z. B. formelle Entschuldigungen).

Dieses wegweisende Gutachten liefert eine Rechtsgrundlage für Schadensersatzansprüche sowohl zwischen Staaten als auch vor internationalen und nationalen Gerichten. Es ermöglicht Klagen gegen Regierungen, die weiterhin den Ausbau fossiler Brennstoffe ermöglichen und unterstützen, wissenschaftliche Warnungen ignorieren oder Gemeinschaften nicht vor vorhersehbaren Klimaschäden und den daraus resultierenden Menschenrechtsverletzungen schützen.

In dem Gutachten heißt es, dass ein Staat seine Staatlichkeit und Selbstbestimmung nicht verliert, wenn er Territorium verliert. Was bedeutet das?

Ja, der Gerichtshof hat festgestellt, dass ein kleiner Inselstaat, der aufgrund des Anstiegs des Meeresspiegels einen Teil oder sein gesamtes Territorium verliert, seine Staatlichkeit, Souveränität oder seine maritimen Rechte nicht verliert. Dies bietet Ländern wie Tuvalu oder den Marshallinseln, deren Existenz durch einen von ihnen nicht verursachten Klimakollaps bedroht ist, eine entscheidende rechtliche Absicherung.

Das ist mehr als nur symbolisch. Es bedeutet, dass das internationale Rechtssystem selbst angesichts existenzieller Klimabedrohungen die Rechte, die Identität und die Handlungsfähigkeit der betroffenen Nationen anerkennt und wahrt. Es ist eine Rettungsleine für die rechtliche Kontinuität in einer Zeit des Klimawandels, für die kleine Inselstaaten seit langem gekämpft haben.

Was bedeutet das Gutachten für die COP30 in Belém? Wie wird es die Debatte verändern?

Das Gutachten des IGH verändert die Lage vor der COP30 grundlegend. Es schafft verbindliche Rechtsklarheit in einem Bereich, der bisher oft von freiwilligen Verpflichtungen und politischen Kompromissen der größten Treibhausgasemittenten geprägt war. In Belém sollte der Fokus nicht mehr darauf liegen, was Staaten zu tun bereit sind, sondern darauf, wozu sie rechtlich verpflichtet sind. Das Gutachten bekräftigt die rechtlichen Vorgaben hinter den Forderungen nach Klimafinanzierung, Ausstieg aus fossilen Brennstoffen und einem gerechten Übergang – gegründet auf den Prinzipien der Gerechtigkeit und der historischen Verantwortung.

Das Gutachten des IGH verändert die Lage vor der COP30 grundlegend.

Für die am stärksten betroffenen Staaten, Gemeinschaften und die Zivilgesellschaft ist dieses Gutachten des IGH ein wirksames Rechtsinstrument, um Untätigkeit, Verzögerungen, Arroganz und Greenwashing entgegenzutreten. Es setzt die Verhandlungen unter erhöhten moralischen und rechtlichen Druck und dürfte es den Treibhausgasemittenten erheblich erschweren, ihr Verhalten als souveräne Ermessensentscheidung darzustellen. Es geht nun um die Einhaltung von Rechtsverpflichtungen.

Es erhöht die Mindestanforderungen für Klimaschutzambitionen. Es definiert Klimaschutz und Anpassung nicht mehr als Wohltätigkeit oder politische Entscheidungen, sondern als rechtliche Verpflichtungen.

Auf der COP30 können die Verhandlungsführer nicht länger so tun, als seien Klimaschutzmaßnahmen freigestellt. Der Gerichtshof hat klargestellt: Staaten sind rechtlich verpflichtet zu handeln. Und wenn sie dies nicht tun, können sie zur Verantwortung gezogen werden. Ich bin mir sicher, dass viele große Treibhausgasemittenten argumentieren werden, dass ein Gutachten des IGH „nicht bindend“ sei. Das ist natürlich richtig, aber das internationale Recht, das der IGH nun im Zusammenhang mit der Klimakrise ausgelegt hat, ist zweifellos bindend – und die Verpflichtungen aus dem internationalen Gewohnheitsrecht gelten für ALLE Staaten, auch wenn sie nicht Vertragsparteien bestimmter Verträge sind.

Für diejenigen, die lange dafür gekämpft haben gehört zu werden – Jugendliche, Indigene Völker, klimagefährdete Staaten und Gemeinschaften –, ist dieses Gutachten des IGH sowohl eine Bestätigung als auch ein Hebel.

Kann dieses Urteil in einer Zeit schwindenden Vertrauens in das Völkerrecht, insbesondere im Globalen Süden, Wahrnehmungen verändern?

Ja, und ich wage zu behaupten, dass dies in gewisser Weise bereits geschehen ist.

Die Stellungnahme des IGH spiegelt wider, was viele der Globalen Mehrheit seit langem fordern: die rechtliche Anerkennung ihres Leidens, ihrer Führungsrolle und ihrer Rechte. Sie weist die Verantwortung denen zu, denen sie zusteht – den großen Treibhausgasverursachern, die das Klimasystem zerstört haben und weiterhin zerstören, und nicht denen, die mit den Folgen leben müssen.

Sie zeigt, dass das internationale Recht zum Schutz der Menschen und des Planeten eingesetzt werden kann, anstatt zugunsten von Unternehmensinteressen, rücksichtsloser Gier und der Macht umweltschädigender Staaten. Sie stellt die Idee wieder her, dass das Recht in Zeiten der Dringlichkeit in denen die Politik versagt, eine tragende Rolle spielen kann.

Das Urteil des IGH ist eine Korrektur jahrzehntelanger Arroganz, Ignoranz und Straflosigkeit, in denen die Rechtssysteme es versäumt haben, die großen Treibhausgasverursacher für ihre verheerenden Schäden am Klimasystem und an den Rechten, den Leben und den Lebensgrundlagen von Millionen Menschen zur Rechenschaft zu ziehen. Es zeigt, dass internationales Recht, wenn es aktiviert und präzisiert wird, der Gerechtigkeit dienen und sie voranbringen kann. Wenn diesem Urteil Rechtsstreitigkeiten, Gesetzgebung und Durchsetzung folgen, kann es für Millionen von Menschen und für die Sicherheit unseres Planeten einen echten Unterschied machen und dazu beitragen, das Vertrauen in die Idee wiederherzustellen, dass das Recht den Vielen dienen kann, anstatt die Mächtigen vor ihrer Verantwortung abzuschirmen.

Wovon hängt es ab, dass dieses Urteil umgesetzt wird und etwas bewirkt?

Der IGH hat uns rechtliche Klarheit verschafft. Die Umsetzung hängt jedoch vom politischen Willen, vom öffentlichen Druck, von Klimaschutzmaßnahmen und ja, auch von Gerichtsverfahren ab. Es bedarf weiterer Schritte in der UN-Generalversammlung, in den nationalen Gesetzgebungen sowie in regionalen und internationalen Verhandlungsforen. Mit dem Gesetz auf unserer Seite können wir ehrgeizige Klimapolitik, Maßnahmen und Finanzierungen vorantreiben.

Wir müssen darauf bestehen, dass die Staaten die klare Botschaft des IGH beherzigen: Klimaschäden sind politisch nicht mehr vertretbar und rechtlich nicht mehr zu rechtfertigen. Die fossile Industrie, die lange Zeit durch regulatorische Vereinnahmung und rechtliche Unklarheiten geschützt war, ist nun in die Pflicht genommen worden. Der IGH hat dies direkt benannt. Die Subventionierung, Genehmigung und Ausweitung der fossilen Produktion sind nicht mehr nur schlechte Politik – sie können völkerrechtswidrige Handlungen darstellen.

Dies ist ein Moment der Dringlichkeit und Bedeutung. Er bestätigt, dass das Recht die Herausforderung annehmen kann, wenn die Politik versagt. Es ist ein Moment, in dem junge Menschen und vom Klimawandel betroffene Nationen nicht nur mit am Tisch sitzen, sondern den Weg weisen und das System selbst neu gestalten!

Dieses Gutachten des IGH ist ein Fahrplan für Klimagerechtigkeit, für Rechenschaftspflicht, für wissenschaftliche Fakten und für die Rechte heutiger und künftiger Generationen. Jetzt liegt es an uns, diesen Weg zu gehen.

Das Interview wurde von Layla Al-Zubaidi, kommissarische Leiterin des Bereichs Internationale Zusammenarbeit und Leiterin der Internationalen Themenreferate der Heinrich-Böll-Stiftung, geführt.

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